Krankentaggeld

    Krankentaggeld bei Covid-19-Langzeitfolgen?

     Allgemeines zur Krankentaggeldversicherung

    Krankentaggeldversicherungen werden vom Arbeitgeber, von der Arbeitgeberin abgeschlossen. Sie sollen bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit der versicherten Person die Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeberin, des Arbeitgebers ersetzen. Solcher Versicherungsschutz für die Arbeitnehmenden ist nicht zwingend vorgeschrieben: Anders als für die Versicherung gegen die wirtschaftlichen Folgen von Unfällen besteht in der Schweiz kein Obligatorium für Krankentaggeldversicherung. Meistens untersteht der Krankentaggeldversicherungsvertrag heute dem privatrechtlichen Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Die Vertragsfreiheit ist daher gross. Die Versicherungen regeln ihren Leistungsumfang in der Regel in den jeweiligen Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB / AGB). Zwischen den einzelnen Krankentaggeldversicherungen können also sowohl in der Handhabe eines Versicherungsfalls als auch bezüglich der Leistungen Unterschiede bestehen.

    Die Krankentaggeldversicherung erbringt bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit Taggeldleistungen, üblicherweise auf der Grundlage von mindestens 80 % des versicherten Verdienstes. Das Taggeld tritt somit an die Stelle des vom Arbeitgeber, der Arbeitgeberin geschuldeten Lohns.

    Die Krankentaggeldversicherung ist leistungspflichtig, solange die Arbeitsunfähigkeit in der bisherigen oder jeder anderen medizinisch-theoretisch zumutbaren Tätigkeit ärztlich attestiert ist. Sie erbringt auch bei lang dauernder Krankheit die Taggeldleistung längstens während 720 oder 730 Tagen. Dauern Krankheit und damit zusammenhängende Arbeitsunfähigkeit länger an, sollte (bei rechtzeitig erfolgter Anmeldung)[1] ein Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung gegeben sein, welche im Idealfall die Leistungen der Krankentaggeldversicherung ohne Unterbruch ablösen.

     Krankentaggeld bei langdauernder Krankheit

    Nichtdestotrotz kann es nachgerade im Zusammenhang mit langdauernder Krankheit zu Problemen kommen. Die versicherte Person ist bereits von Gesetzes wegen zur Schadenminderung verpflichtet, soweit ihr solche möglich ist.[2] Die erkrankte versicherte Person ist also beispielsweise verpflichtet, sich in angemessene medizinische Behandlung zu begeben. Ist eine versicherte Person sodann zwar in der bisherigen Tätigkeit weiterhin arbeitsunfähig, in einer anderen, z.B. körperlich weniger belastenden Tätigkeit jedoch nicht oder in geringerem Ausmass, ist ein Berufswechsel zu prüfen. Je länger eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in der bisherigen Tätigkeit andauert, umso eher kann die Krankentaggeldversicherung einen zumutbaren Berufswechsel verlangen. Es haben sich hierfür Übergangsfristen von drei bis fünf Monaten etabliert.[3] Ist davon auszugehen, dass ein solcher Berufswechsel die Erwerbseinbusse der versicherten Person aufhebt oder verringert, entfallen oder verringern sich vom Ende der Übergangsfrist an die Taggeldleistungen. Voraussetzung dafür, dass die Krankentaggeldversicherung einen Berufswechsel für zumutbar erklären und ihn verlangen kann, ist allerdings ein stabiler Gesundheitszustand, wo also auch durch Heilbehandlung keine wesentliche Besserung mehr zu erwarten ist. Ausserdem muss ein Berufswechsel für die versicherte Person realistischerweise möglich sein und ihr ein Erwerbseinkommen ermöglichen, dessen Höhe den krankheitsbedingten Erwerbsausfall mindert oder gänzlich aufhebt.

    Beweislast und Problematik

    Es obliegt der versicherten Person, beständig den Beweis dafür zu erbringen, dass sie weiterhin wegen Krankheit arbeitsunfähig ist.[4] Die Versicherung kann, muss aber nicht, den Gegenbeweis dafür erbringen, dass die Arbeitsfähigkeit der versicherten Person ganz oder teilweise wiederhergestellt ist.[5] In aller Regel sehen die Allgemeinen Versicherungs-bedingungen der Krankentaggeldversicherungen hierzu insbesondere vor, dass sich die versicherte Person einer vertrauensärztlichen Untersuchung oder Beurteilung zu unterziehen hat, wenn die Versicherung dies verlangt. Kann der Beweis bezüglich Arbeitsunfähigkeit nicht erbracht werden, trägt die versicherte Person die Folgen dieser Beweislosigkeit und erhält also kein Krankentaggeld (mehr).

    Die Beweisführung ist immer dann erschwert, wenn die massgeblichen Beschwerden der Krankheit nicht objektivierbar sind. Objektivierbar sind Untersuchungsergebnisse, die wiederholbar und von der untersuchenden Person und den Angaben der erkrankten Person unabhängig sind, wie dies z.B. bei Röntgenbildern der Fall ist. Manche der gängigsten Symptome von "long covid" - Müdigkeit/Fatigue, (Kopf)Schmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten und Aufmerksamkeitsdefizite[6] – können von einem Arzt, einer Ärztin aber nicht eigentlich "festgestellt" werden. Ob eine erkrankte Person an diesen Symptomen leidet, ergibt sich vor allem aus deren Schilderung. Zwar gelten die sozialversicherungsrechtlichen Vermutungen und Beweisregeln zur „objektiven Überwindbarkeit“ von Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit[7] für die privatversicherungsrechtlich geregelte Krankentaggeldversicherung (noch) nicht.[8] Dennoch ist das Risiko erheblich, den genügenden Beweis für krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht erbringen zu können, wenn sich allenfalls keine objektivierbaren Befunde (mehr) erheben lassen, welche die Beschwerden und Einschränkungen erklären.


    Krankentaggeld bei Covid-19?

    Zusammenfassend besteht bei Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer Erkrankung an Covid-19 Anspruch auf Krankentaggeld. Dabei wird eine verhältnismässig kurz dauernde Arbeitsunfähigkeit zufolge akuter Erkrankung an Covid-19 hinsichtlich des Krankentaggelds kaum je Probleme aufwerfen. Gleiches ist wohl zu erwarten, wenn Covid-19-Langzeitfolgen zumindest teilweise objektivierbar sind, wie dies namentlich bei infektionsbedingten Veränderungen der Lunge der Fall ist. Wie indes die Ansprüche auf Krankentaggeld-leistungen beurteilt werden, wenn nach dem Abklingen der akuten Infektion ausschliesslich nicht objektivierbare Beschwerden und Einschränkungen vorliegen, wird sich erst noch weisen.


    Damit Betroffene zu ihrem Recht kommen, sind echtzeitliche, versicherungsmedizinisch gut begründete Stellungnahmen von Fachärztinnen und Fachärzten und, wenn möglich, detaillierte Berichte eines Rehabilitationsaufenthalts hilfreich. Sie vereinfachen die Beweisführung über Langzeitbeschwerden nach einer Corona-Infektion. Eine engmaschige medizinische Betreuung durch Fachpersonen ist daher auch rechtlich empfehlenswert - im Hinblick auf Ansprüche gegen die Krankentaggeldversicherung, aber auch gegen die Invalidenversicherung und bei Vorliegen einer Berufskrankheit auch gegenüber der Unfallversicherung.

    Angesichts der Erfahrungen mit Krankentaggeldversicherung in vergleichbaren Situationen muss Erkrankten aus fachanwaltlicher Sicht geraten werden, eine ablehnende Einschätzung einer Krankentaggeldversicherung nicht "einfach so" zu akzeptieren, sondern sie überprüfen zu lassen. Dasselbe gilt für medizinische Gutachten, welche im Auftrag der Krankentaggeld-versicherung erstellt werden. Sie gelten nicht als neutral und unabhängig, sondern lediglich als Parteibehauptung der Versicherung. Der Rechtsweg kann sich lohnen, auch im Hinblick auf Langzeitleistungen anderer Sozialversicherungen (Invalidenversicherung, Pensionskasse, allenfalls Unfallversicherung). Die Verjährungsfrist für Ansprüche gegen die Krankentaggeld-versicherung beträgt zwei Jahre, danach können sie wegen Zeitablaufs nicht mehr durchgesetzt werden.

      Ausblick

    Da es sich bei den Langzeitfolgen von Covid-19 um ein weltweites Phänomen handelt, wird (hoffentlich) die entsprechend intensive Forschung in absehbarer Zeit verbindliche Antworten geben können über die Zusammenhänge von Infektion und Beschwerden wie Fatigue, anhaltenden Schmerzen usw. Es würde entsprechend erkrankte Personen vom drohenden Risiko der Beweislosigkeit entlasten.

    lic. iur. Nadeshna Ley
    Fachanwältin SAV Haftpflicht- und Versicherungsrecht

    https://www.kanzley.ch/

     

    [1] Vgl. dazu https://www.covid-langzeitfolgen.ch/index.php/iv

    [2] Art. 61 VVG.

    [3] BGE 133 III 527, E. 3.2.1.

    [4] Urteil des Bundesgerichts 4A_253/2019 vom 5. September 2019, E. 3; BGE 141 III 241; Urteil des Bundesgerichts 4A_66/2017 vom 17. Juli 2017, E. 3.

    [5] Urteil des Bundesgerichts 4A_66/2017 vom 14. Juli 2017, E. 3.

    [6] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.01.27.21250617v2.full

    [7] Vgl. dazu: https://www.covid-langzeitfolgen.ch/index.php/iv

    [8] Urteil des Bundesgerichts 4A_223/2012 vom 20. August 2012 und nachfolgende.

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